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Seele und Körper

Psyhotherapie und moderne Neurowissenschaft

 

"Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie" (Joachim Bauer): Zwischen-menschliche Beziehungen beeinflussen das Gehirn. Zwischenmenschliche Beziehungserfahrungen formen neuronale Strukturen des Gehirns und legen neuroendokrinologische Reaktionsmuster des Gesamtorganismus fest. "Gene formen die grobe Struktur des Gehirns, doch die Erfahrungen des Kindes sind es, welche die Feinregulierung bei den Nervenverbindungen bestimmen, wovon die Funktionsweise des Gehirn abhängt. Diese Feinregulierung durch Erfahrungen in der Umwelt geht auch im Erwachsenenalter weiter" ( Genes form the structure of the infant brain , the infant´s experience in the world then fine-tunes the pattern of neural connections underlying the brain´s functions . Such fine-tuning must continue through adulthood ) (Wiesel, Science 264: 1647, 1994). Wie können über diese "Feinregulierung" seelische Störungen entstehen, und wie kommt es auf demselben Weg - z. B. in Psychotherapien - zur Heilung? Leon Eisenbergs legendärer Beitrag zum Thema "Die Konstruktion des menschlichen Gehirns durch zwischenmenschliche Beziehungen" (The social construction of the human brain. Am. J. Psychiat . 152: 1563, 1995) beginnt mittlerweile sogar Eingang in die Lehrbücher zu finden (siehe z. B. die neueste Auflage des "Harvard Guide of Psychiatry ").

Erfahrungen mit der Umwelt bestimmen seelisches Erleben und Verhalten. Erfahrungen mit der Umwelt spielen bereits bei der prä- und postnatalen Hirnentwicklung eine entscheidende Rolle und determinieren späteres Erleben und Verhalten (Übersicht z. B. bei Herschkowitz et al, Neuropediatrics 28:296, 1997). Das genetische Programms beschränkt sich beim Gehirn auf die Bereitstellung der anatomischen Hirnanteile, vom Hirnstamm bis zum Großhirn, mit ihren jeweiligen Kerngebieten und spezifischen Transmitter- Systemen. Für die innere Repräsentation der Welt, für den Erwerb neuropsychologischer Programme sowie seelischer Interpretations- und Reaktionsmuster werden seitens des genetischen Apparates jedoch keine festinstallierten neuronalen Schaltkreise vorgegeben. Vorgegeben ist im Kortex lediglich ein eklatanter Überschuss an -zunächst weitgehend funktionslosen- neuronalen Verschaltungen ( Synapsen ) der Nervenzellen untereinander.

Die Nervenzell- Anatomie verändert sich unter jeweiligen Erfahrungen mit der Umwelt. Nach dem Prinzip "Benütze es oder Du verlierst es" (Use it or lose it) kommt es unter dem prägenden Einfluss individueller Umwelterfahrungen zum "Imprinting", d.h. zur Herausbildung und Stabilisierung von Nervenzell-Netzwerken (Swaab, Neurobiol. Aging 12:317,1991). "Die neuro- anatomischen Feinstrukturen im Gehirn werden durch seelische Aktivität festgelegt. Nervenzell- Verbindungen entstehen durch sozial vermittelte Erfahrungen in der Umwelt, Nervenzell- Verbindungen geben diese Erfahrungen wieder bzw. enthalten sie". (The precise neuroanatomic details are specified by activity-dependent competition. Neuronal connections are fashioned by, and consequently reflect, socially mediated experience in the world) (Eisenberg, Am. J. Psychiat . 152: 1563, 1995).

Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen machen Seele und Gehirn krank. Zwischenmenschliche Beziehungen haben -über ihre psychobiologischen Effekte- klinische Folgen (Übersichtsarbeiten siehe z. B. Huether , Int. J. Devel . Neurosci . 16: 297, 1998; Joseph, Child Psychiat . Hum. Devel . 29:189, 1999). Stimulusdeprivation, wie sie z. B. Säuglinge erleiden, deren Mütter an einer postpartalen Depression erkrankt sind, hat bei den betroffenen Kindern psychobiologische Beeinträchtigungen zur Folge, die nicht nur in einer späteren Einengung der seelischen Erlebnisbreite, sondern auch in neuropsychologischen Defiziten zum Ausdruck kommen können (Übersichtsarbeiten siehe Gordon, Eur . J. Paediat . Neurol . 2:1, 1998; Field , Preventive Med. 27:200, 1998). Kinder, die unter benachteiligten Bedingungen aufgewachsen sind oder von manifesten Misshandlungen betroffen waren, zeigen -gegenüber Kontrollgruppen- nicht nur Beeinträchtigungen des seelischen Erlebens und Verhaltens, sondern testpsychologisch sowie elektro-enzephalographisch (im EEG) nachweisbare Störungen biologischer Hirnfunktionen (z. B. Teicher et al., J. Neuropsychiat . Clin . Neurosci . 5:301,1993; Ito et al., J. Neuropsychiat . Clin . Neurosci . 10:298, 1998 und 5:401, 1993; Otero , Electroenc . Clin . Neurophysiol . 102:512, 1997).

Verheerende Gesundheitsschäden durch Traumatisierung in der Kindheit. In den letzten 10 Jahren beschreiben weit über hundert Studien die verheerenden seelischen Gesundheitsschäden, die sich aus Traumatisierungen nicht nur in der Kindheit, sondern auch im Erwachsenenalter ergeben. Um welche Größenordnungen geht es hier? Lassen wir chronische Kränkungs- und Entwertungserfahrungen (die für die Ausbildung einer relevanten seelischen Störungen bereits voll ausreichen) einmal beiseite: Mindestens 10 % der Bevölkerung sind nach mehreren hierzu vorliegenden Untersuchungen während Kindheit und Jugend von massiven und anhaltenden Gewalterfahrungen betroffen (z. B. Fillingim et al., Clin . J. Pain 15:85, 1999; Bouvier et al., Child Abuse Negl . 23:779, 1999; Portegijs et al., Family Pract . 13:1, 1996). Deren Folgen sind empirisch belegt: Depressive Erkrankungen (Prävalenz 10%), körperliche Beschwerden ohne organischen Befund (Prävalenz 10%), dissoziative Störungen (Prävalenz 6%) und Borderline-Störungen (Prävalenz 1-2%). Über diese Zusammenhänge findet sich eine umfassende empirische Literatur (z. B. Mulder et al., Am. J. Psychiat . 155: 806,1998; Ross-Gower et al., Br. J. Clin. Psychol . 37:313, 1998; Kaplan et al., Compr . Psychiat . 39:271, 1998; Stein et al., Psychol . Med . 27:951, 1997; Cloitre et al., J. Traum . Stress 10: 437, 1997; Ferguson et al., Child Abuse Negl . 21:941, 1997; Farley et al., Women Health 25:33, 1997; Roberts, Nurse Pract . 21, 42, 1996; Putnam et al., Child Abuse Negl . 19:645, 1995).

"Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie" (Joachim Bauer): Psychotherapie heilt seelische Erkrankungen und hat positive Effekte auf Gehirn und Körper. Seelische Erkrankungen bilden sich keineswegs von selbst zurück. Die empirische Datenlage darüber, dass Psychotherapie wirksam ist, ist geradezu erdrückend (Übersichten siehe z. B. Shadish et al., J. Consult . Clin Psychol 65: 355, 1997; Grawe et al., Psychotherapie im Wandel, 1994; Bergin & Garfield Handbook of Psychotherapy and Behavior Change, 1994). Psychotherapie hilft nicht nur der Seele, sondern auch dem Körper, denn in einem lebenden Organismus sind alle biologischen Funktionen zutiefst "beseelt".

© Joachim Bauer

 

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